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Polen um 1600-1750

Von 1569 bis 1795 waren das Königreich Polen und und das Großfürstentum Litauen in Personalunion unter einem Herrscher vereint. Sie hatten ein gemeinsames Parlament (Sejm) aus Vertretern des Adels, das den König wählte. Das Staatsgebiet umfasste auch das heutige Lettland und Weissrussland (Belarus), drei Viertel der Ukraine sowie Teile Westrusslands.

Polen Landkarte

Polen-Litauen um 1618 mit den heutigen Staatsgrenzen

Die Hansestädte im Norden - Danzig, Stettin, Riga - entwickelten sich zu reichen Handelsplätzen. Die Wirtschaft blühte dank den ausgedehnten landwirtschaftlichen Gebieten, aus denen Getreide, Vieh und Holz exportiert wurde, sowie einer breiten Schicht von Kaufleuten und Handwerkern. Die Großgrundbesitzer, die Adeligen am Hof und das gebildete Bürgertum waren offen für die wissenschaftliche Forschung und begeisterten sich für die Kunst der italienischen Renaissance.

So ist es nicht verwunderlich, dass aufblühende Städte wie Poznań/Posen, Wrocław/Breslau, Kraków/Krakau (bis 1596 Hauptstadt), Warszawa/Warschau, Vilnius/Wilna in Litauen und Lwów/Lemberg in der heutigen Ukraine daran gingen, prächtige Rathäuser, Kirchen und Residenzen in Auftrag zu geben. Aus Mangel an einheimischen Architekten und Künstlern holte man sich in Italien ausgebildete Kräfte. Als erste kamen bereits um 1550 die Familien Porro und Neuroni nach Schlesien, dem heutigen Westpolen. Ihnen folgte in den nächsten 200 Jahren eine eindrucksvolle Schar von Künstlern, wie Sie der angefügten Liste entnehmen können. Sie alle hatten das Glück, dass Polen vom Dreissigjährigen Krieg verschont blieb, der 1618-1648 die westlichen und nördlichen Nachbarländer verwüstete. Denn 1573 war im polnischen Reich Religionsfreiheit vereinbart worden, sodass Katholiken, Protestanten, Orthodoxe, Juden und Muslime weitgehend friedlich miteinander lebten.

Natürlich spielten neben dem Landadel und den Magnaten genannten Großgrundbesitzern auch die gewählten Könige und ihr Hofstaat eine wichtige Rolle als Auftraggeber. Besonderen Kunstsinn zeigten die - übrigens katholischen - Herrscher aus dem schwedischen Geschlecht der Wasa, die von 1587 bis 1668 regierten. Zum Beispiel war Zygmunt III.Wasa/Sigismund III. (1587-1632), der neben Polnisch und Schwedisch fließend Italienisch, Latein und Deutsch sprach, selbst ein begeisterter Maler und Goldschmied.

Koenig Sigsimund III

König Sigismund III. von Polen,
Gemälde von Martin Kober,
um 1590,
Kunsthistorisches Museum, Wien

1613 berief er auf Empfehlung des künftigen Papstes Urban VIII. den Architekten Matteo Castelli aus Melide an seinen Hof in Warschau, wo ein repräsentatives Schloss entstehen sollte. Castelli seinerseits holte in den folgenden 20 Jahren, bis zu seinem Tod in Warschau im Jahre 1632, eine Reihe von Tessinern nach Polen, darunter seinen Neffen Costantino Tencalla aus Bissone.

Ferner ergaben sich durch Sigismunds Heirat mit Anna von Österreich aus dem Hause Habsburg enge Beziehungen zu Wien. Es war also naheliegend, dass Architekten und Künstler, die sich dort bereits einen Namen gemacht hatten, nach Polen verpflichtet wurden.

Der Sohn Sigismunds, Władysław IV. Wasa (1632-1648), setzte die Bautätigkeit fort, insbesondere auch dank seiner zweiten Frau, Luisa Maria Gonzaga, einer Prinzessin aus dem italienischen Adelsgeschlecht der Gonzaga.

Koenig Wadyslaw IV

König Władysław IV. Wasa,
Gemälde von Peter Paul Rubens,
1624,
Metropolitan Museum of Art, New York

Sie übte einen großen Einfluß auf das kulturelle Leben aus. So gründete sie 1652 die erste polnische Zeitung und ließ das erste Kloster der Salesianerinnen in Warschau errichten, deren Kirche ein Architekt aus Magliaso erbaute, Carlo Antonio Bai.

Kosciol Wizytek

Kirche Mariä Heimsuchung
(Kosciol Wizytek)
des Salesianerinnen-Klosters
in Warschau,
Gemälde von Canaletto,
1780,
im Warschauer Schloss

Nach dem Tod von Władysław IV. heiratete Luisa Maria dessen Bruder, der als Jan II Kazimierz Waza/Johann II. Kasimir (1648-1668) polnischer König wurde. Allerdings profitierten von seiner Herrschaft nur die Großgrundbesitzer und Adeligen, der Rest der Bevölkerung litt unter seinen vielen Kriegen und verarmte. Schließlich wurde er zur Abdankung gezwungen und seine Initialen Ioannes Casimirus Rex spöttisch gedeutet als Initium Calamitatis Regni – der Anfang vom Niedergang des Reiches.

Die wirtschaftliche Lage besserte sich mit König Jan III Sobieski/Johann III. Sobieski (1674-1696), der nicht nur gebildet und ein bedeutender Feldherr, sondern auch Kunstliebhaber war. Am Stadtrand von Warschau liess er das Palais Wilanów im Stil des italienischen Barock errichten.

Wilanow Palace

Palais Wilanów bei Warschau, erbaut 1677-1679

In den folgenden 70 Jahren nahm der Einfluss des Hofes ab, denn die beiden Könige aus dem sächsischen Haus der Wettiner, August II Mocny/August II. der Starke (1697-1733) und sein Sohn August III Sas/August III. (1733-1763) zeigten nur geringes Interesse an Polen. Sie widmeten sich der Stärkung ihrer Macht in Dresden und entfalteten dort eine rege Bautätigkeit, so dass die Stadt bald zum Zentrum höfischen Lebens und barocker Pracht wurde. In Warschau liess August III. zwar noch zwei große Residenzen errichten, das Sächsische Palais und das Brühlsche Palais, die beide nach dem Warschauer Aufstand 1944 von der deutschen Wehrmacht zerstört wurden. Im übrigen Polen neigte sich die Auswanderung aus dem Tessin jedoch langsam ihrem Ende zu, auch wenn im Auftrag des lokalenAdels weiterhin Paläste, Klöster und Kirchen gebaut wurden. Einer der letzten, die in Polen arbeiteten, war der Architekt Jakub/Giacomo Fontana (1710-1773) aus Novazzano.

Mitglieder folgender Künstlerfamilien waren in Polen tätig:


Literatur

Links


© U. Stevens 2012

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