a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z

Giovanni Pietro Tencalla

Tencalla Giovanni PIetro
Architekt

geb. 17.11.1629


Bissone
(Vater: Costante, Mutter: Martha Porro)
°°1660 Anna Caterina Petrucci aus Maroggia
gest. 6.03.1702 Bissone

Portrait: Giovanni Pietro Tencalla
Ausschnitt aus dem Ölgemälde eines unbekannten Malers, Ende 17. Jh., Sammlung der Stadt Lugano (CH)
Mit freundlicher Genehmigung des Fotoarchivs des Kulturamts der Stadt Lugano

Giovanni Pietro Tencalla war Hofarchitekt des Kaisers Leopold I. (reg. 1658-1705) in Österreich und Tschechien. Zu seinen bekanntesten Bauten gehören das Palais Lobkowitz in Wien, die Bischofsresidenz in Olmütz (CZ), das Schloss Kremsier (CZ) und das Kloster Hradisko (CZ).

Kloster Hradisko bei Olmütz (CZ)

Kloster Hradisko bei Olmütz (CZ)

Herkunft und Ausbildung

Giovanni Pietro Tencalla stammte aus einer weit verzweigten Tessiner Künstlerfamilie. Bereits sein Großvater Pietro Antonio war Architekt in Wien, sein Vater Costante Architekt in Polen und sein Onkel Giovanni Giacomo Hofarchitekt des Fürsten Maximilian von Liechtenstein.

Über seine Ausbildung als Architekt und Ingenieur ist nichts überliefert. Es ist jedoch zu vermuten, dass er bis zu seinem 18. Lebensjahr in Warschau lebte, wo sein Vater Costante Hofarchitekt des Königs Wladyslaw IV. war und dort 1647 verstarb. Dann holte ihn eventuell Costantes Bruder Giovanni Giacomo nach Wien. Bald nahm ihn der kaiserliche Hofbaumeister Filiberto Lucchese (siehe Biografie auf dieser Webseite) als Assistenten auf. Zehn Jahre lang, von 1656 bis 1666 arbeiteten sie zusammen, dann trat Tencalla die Nachfolge Luccheses an und wirkte seinerseits bis 1701 als kaiserlicher Hofbaumeister.

Aufträge in Wien

Hofburg – Leopoldinischer Trakt
Zu seinen ersten Aufgaben gehörte der Wiederaufbau des von Lucchese errichteten Flügels der Wiener Hofburg, der 1668 einem Brand zum Opfer gefallen war.

Leopoldinischer Trakt der Hofburg in Wien

Giovanni Pietro Tencalla, Leopoldinischer Trakt der Hofburg in Wien, 1668-1681
Im Hintergrund die Michaelerkirche und der Stephansdom

Heute dient dieser Flügel als Amtssitz des österreichischen Bundespräsidenten.

Palais Dietrichstein – Lobkowitz

Nicht weit von der Hofburg wollte Graf Philipp Sigmund von Dietrichstein, der Oberstallmeister des Kaisers, ein Palais erbauen lassen. Aus einem Wettbewerb ging Tencallas Projekt als Sieger hervor. Hier sehen Sie den Palast auf einem Gemälde Canalettos.

Gemälde von Canaletto, 1759/60, Kunsthistorisches Museum, Wien

Giovanni Pietro Tencalla, Palais Lobkowitz, vormals Dietrichstein, in Wien, 1687-1694
Im Hintergrund der Stephansdom
Gemälde von Canaletto, 1759/60, Kunsthistorisches Museum, Wien

Als nach 1700 der Hochbarock modern wurde, engagierte Graf Dietrichstein den damaligen Stararchitekten Johann Bernhard Fischer von Erlach für Umbauarbeiten (1709-11). Dieser ergänzte die Fassade mit dem sogenannten Diadembogenportal und einer Balustrade mit Figuren.

G.P. Tencalla und J.B. Fischer von Erlach, Palais Lobkowitz, Wien

G.P. Tencalla und
J.B. Fischer von Erlach,
Palais Lobkowitz
(vormals Dietrichstein)
in Wien

Das Palais wechselte mehrmals den Besitzer. 1745 erbte es Ferdinand Philipp Fürst von Lobkowitz, dessen Stammhaus Schloss Roudnice an der Elbe war, das von Francesco Caratti und Antonio della Porta erbaut wurde. Das Palais ist heute Sitz des Österreichischen Theatermuseums.

Karriere in Tschechien

Durch seine Zusammenarbeit mit Lucchese kam Tencalla auch in die zum Habsburger Reich gehörende Region Mähren, die heute den östlichen Teil Tschechiens bildet. Er hatte das Glück, in Karl II. Fürst von Liechtenstein-Kastelkorn, dem Bischof von Olmütz, einen visionären und finanzkräftigen Auftraggeber zu finden. Für ihn plante Tencalla die Barockisierung wichtiger Klöster, Kirchen und Bischofsresidenzen.

Karl II. Fürst von Liechtenstein-Kastelkorn, Bischof von Olmütz (reg.1664-95)

Karl II. Fürst von
Liechtenstein-Kastelkorn,
Bischof von Olmütz
(reg.1664-95)

Nicht zu unterschätzen ist wohl auch die Tatsache, dass Tencallas Frau eine Verwandte des einflussreichen Geistlichen in Olmütz, Giovan Pietro Petrucci (1589-1659) aus Maroggia war.

Erzbischöfliches Palais in Olomouc (dt. Olmütz)
Die Schweden hatten die Stadt Olmütz während des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) in Schutt und Asche gelegt. Da der Bischofspalast schwer gelitten hatte, ließ Karl II. von Liechtenstein-Kastelkorn ihn praktisch neu aufbauen. Er beauftagte 1664 Filiberto Lucchese und G.P. Tencalla mit dem Bau einer barocken Residenz. Als Lucchese 1666 unerwartet in Wien verstarb, führte Tencalla die Arbeiten bis 1674 zu Ende.

F. Lucchese und G.P. Tencalla, Erzbischöfliches Palais in Olmütz (CZ), 1664-1669

F. Lucchese und G.P. Tencalla, Erzbischöfliches Palais in Olmütz (CZ), 1664-1669

Die Ausstattung der eleganten Räumlichkeiten lag u.a. in den Händen des Bildhauers und Stuckateurs Baldassare Fontana aus Chiasso (siehe Biografie auf dieser Webseite) und des Malers Carpoforo Tencalla, eines entfernten Verwandten aus Bissone. Leider gingen dessen Fresken durch einen Brand verloren.

Erzbischöfliches Palais in Olmütz (CZ), Großer Saal

Erzbischöfliches Palais
in Olmütz (CZ), Großer Saal

Das Palais zählt zum Kulturerbe der Tschechischen Republik. Es diente häufig für historische Begegnungen, etwa 1805 zwischen dem russischen Zaren Alexander I. und Kaiser Franz II. von Österreich vor der Dreikaiserschlacht gegen Napoleon bei Austerlitz.

Erzbischöfliches Schloss Kroměříž (dt. Kremsier)
Praktisch zeitgleich, ab 1665, arbeitete Tencalla in Kremsier an der Barockisierung des vormaligen Wasserschlosses, das ebenfalls zum Bistum Olmütz gehörte. Lucchese und Tencalla konzipierten die Residenz als Palazzo in fortezza, also vierflügelig, wobei die Erhaltung des 84 m hohen, massiven Schlossturms eine wichtige Rolle spielte.

F. Lucchese und G.P. Tencalla, Innenhof und Turm von Schloss Kremsier (CZ)

F. Lucchese und G.P. Tencalla,
Innenhof und Turm
von Schloss Kremsier (CZ),
1665-71, 1686-98

Nach dem Wiederaufbau des ursprünglichen Schlosses 1665-71 folgten die Neubauten und die Innengestaltung 1686-1698. Prunkvolle Repräsentationsräume entstanden, die einer fürstlichen Residenz würdig waren. Berühmt wurde Kremsier auch wegen seiner umfangreichen Bibliothek, seinem Musikarchiv mit Autographen von Mozart und Beethoven sowie seiner Gemäldegalerie, die auf einer Sammlung des englischen Königs Charles I. beruht. Sie enthält Bilder weltbekannter Maler wie Tizian, van Dyck, Cranach, Brueghel u.a. und wird in ihrer Bedeutung nur von der Prager Nationalgalerie übertroffen.

Leider ging die ursprüngliche Dekoration der Säle im 2. Stock durch den erwähnten Bildhauer Baldassare Fontana und den Maler Paolo Pagani aus Valsolda (I) 1752 bei einem Brand verloren. Erhalten blieben jedoch deren Arbeiten in der Sala terrena im Erdgeschoß.

G.P. Tencalla, Barockgarten mit Rotunde und Kuppel in Kremsier (CZ), 1666-68

G.P. Tencalla,
Sala terrena
im Schloss Kremsier.
Stuckaturen
Baldassare Fontana,
Fresken Paolo Pagani,
1690-1692

Barockgarten in Kremsier
Tencalla lieferte auch die Pläne zur architektonischen Gestaltung des Schlossparks, der außerhalb der Stadtmauern entstehen sollte. Die Rotunde im Zentrum und die 244 m lange offene Galerie waren und sind die Highlights dieser Anlage. Ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem ermöglichte die Installation vieler Springbrunnen zwischen den ausgedehnten Blumenbeeten im französischen Stil.

G.P. Tencalla, Sala terrena im Schloss Kremsier

G.P. Tencalla,
Barockgarten
mit Rotunde und Kuppel
in Kremsier (CZ),
1666-68

Kastelkorn ließ sich bei der Planung offenbar von der Villa Doria-Pamphilij in Rom, dem Park von Versailles und dem Münchner Residenzgarten inspirieren. Der Garten präsentierte neben baulichen Kunstwerken auch seltene Pflanzen und Bäume sowie Tiere, sozusagen ein imaginäres Welttheater (theatrum mundi), wo der Betrachter die gesamte Schöpfung bestaunen konnte. Der Blumengarten in Kremsier galt als Sensation in der barocken Gartenbaukunst Europas.

G.P. Tencalla Galerie im Barockgarten von Kremsier (CZ), 1666-71

G.P. Tencalla Galerie
im Barockgarten von Kremsier (CZ),
1666-71

In der Galerie sind in 44 Nischen Skulpturen antiker Götter und Helden nach römischen Originalen aufgestellt, die Vorderseite ist mit steinernen Büsten über den Säulen besetzt. Unter den Arkaden konnte das lustwandelnde Publikum ein akustisches Phänomen erproben: Jeder Flüsterton pflanzte sich entlang der Wand fort – sozusagen ein barockes Ohr des Dionysos von Syrakus.

Das Schloss und der teilweise rekonstruierte Garten sind seit 1998 UNESCO-Kulturerbe.

Klöster und Kirchen

Die Klöster des Bistums Olmütz gehören dank Bischof Kastelkorn und seinem Architekten Tencalla zu den prächtigsten in ganz Mähren.

Kloster Hradisko (dt. Hradisch) bei Olmütz (CZ)
Auch Hradisko wurde durch die schwedischen Truppen schwer beschädigt. Der Neubau des Klosters nahm Jahrzehnte in Anspruch und gilt als architektonische Glanzleistung.

G.P. Tencalla, Kloster Hradisko (CZ)

G.P. Tencalla, Kloster Hradisko (CZ), Baubeginn 1686, vollendet von Domenico Martinelli 1726-1736

Den Spitznamen Mährischer Escorial erhielt es nicht nur wegen der riesigen Ausmaße von 100 x 115 m, sondern auch wegen der reichen Innendekoration, bei der wieder Baldassare Fontana aus Chiasso und der Maler Innocente Monti aus Mendrisio beteiligt waren.

Kloster Velehrad
Das Zisterzienserkloster Velehrad, auch Mährisches Bethlehem genannt, zieht jeweils Anfang Juli eine große Pilgerschar an.

G.P. Tencalla, Kloster Velehrad (CZ) mit der Basilika St. Kyrill und Method

G.P. Tencalla, Kloster Velehrad (CZ) mit der Basilika St. Kyrill und Method, Baubeginn 1686

Denn im Jahre 863 machten hier die Slawenapostel Kyrill und Method auf ihrer Missionsreise nach Russland Station. Ihnen ist die Basilika gewidmet, die Tencalla im Auftrag von Bischof Kastelkorn entwarf. Sie war damals die grösste Kirche in ganz Böhmen und Mähren. Daneben machte er die Pläne für den barocken Umbau der aus dem 13. Jahrhundert stammenden Klostergebäude, die heute Kulturdenkmal der Tschechischen Republik sind.

Ehemaliges Piaristengymnasium in Příbor (dt. Freiberg)
Freiberg ist bekannt als Geburtsort von Sigmund Freud, dem Begründer der Psychoanalyse. Ein besonderes bauliches Schmuckstück ist das Gymnasium der Piaristen, eines in Österreich und Osteuropa verbreiteten Ordens, der zahlreiche Schulen gründete.

G.P. Tencalla, Ehemaliges Piaristengymnasium, Baubeginn 1694

G.P. Tencalla, Ehemaliges Piaristengymnasium, Baubeginn 1694

Erfreulich ist, dass die restaurierte Fassade einen Eindruck der für Tencalla charakteristischen Putztechnik vermittelt. Erst in letzter Zeit wurden auch die Wand- und Deckengemälde im Refektorium unter dicken Schichten wiederentdeckt und gereinigt. Das unter Denkmalschutz stehende Gebäude beherbergt das Stadtmuseum, eine Bibliothek und einen Sigmund-Freud-Gedenksaal.

Prämonstratenserkirche in Brno-Zábrdovice
Tencalla lieferte Pläne für viele, auch kleinere Kirchen in Mähren, meist an Wallfahrtsorten. Seine Ideen für die sakrale Architektur waren innovativ und übten in ganz Mittel- und Osteuropa einen starken Einfluss aus. Hier sind einige Beispiele.

Kirche Mariä Himmelfahrt in Brno-Zábrdovice (CZ), 1661-1669

F. Lucchese und G.P. Tencalla,
Kirche Mariä Himmelfahrt
in Brno-Zábrdovice (CZ),
1661-1669

Diese Kirche entstand noch in Zusammenarbeit mit Filiberto Lucchese und erinnert mit ihren Balustraden an dessen Kirche Am Hof in Wien.

Wallfahrtskirche in Svatý Kopeček (dt.Heiligenberg) bei Olmütz
Heiligenberg war ein beliebter Wallfahrtsort in Böhmen und Mähren. Hier versuchte sich Tencalla erstmals an einer Kuppel über der Vierung. Die angrenzende Bischofsresidenz wurde 1710 von Domenico Martinelli errichtet.

G.P. Tencalla, Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Svatý Kopeček bei Olmütz (CZ),
1669-79

G.P. Tencalla, Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Svatý Kopeček bei Olmütz (CZ), 1669-79

Wallfahrtskirche in Lomnice
Ein architektonisches Zwischenspiel absolvierte Tencalla in Lomnice bei Brno / Brünn. Für seinen Auftraggeber Gabriel Graf Serényi baute er nicht nur das Schloss um, sondern gestalte in den Jahren 1669-1682 auch das ganze Ortsbild neu. Blickfang ist die Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung mit der Pestsäule davor.

G.P. Tencalla, Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Lomnice bei Brünn, 1669-1682,
1669-79

G.P. Tencalla, Wallfahrtskirche Mariä Heimsuchung in Lomnice bei Brünn, 1669-1682

Das historische Zentrum von Lomnice steht heute unter Denkmalschutz.

Familie und Nachfolger

Angesichts des Stammbaums der Familie Tencalla könnte man sagen, dass Giovanni Pietro die Architektur in seinen Genen hatte. Denn auch die Vorfahren mütterlicherseits, die Porro, waren Architekten aus Bissone, die seit ca. 1540 in Schlesien, im heutigen Südwestpolen, später auch in Sachsen und in Schweden tätig waren. Allerdings ist die Familie Porro bisher wenig erforscht, was u.a. auf die Vielfalt der Namen zurückzuführen ist, unter denen ihre Mitglieder in der Literatur erwähnt sind: Paar, Pahr, Pario, Parr, Bahr, Bähr, Bar, Baur, Bavor, Bawor.

Tencalla pflegte engen Kontakt zu seinem Mentor Lucchese, zum Maler Carpoforo Tencalla und zur Künstlerfamilie Carloni aus Scaria im Val d'Iintelvi (I). Er war ein geschätzter Trauzeuge und Taufpate in Wien und in Bissone. Kraft seines Amtes als Hofbaumeister förderte er junge Künstler und vermittelte einige Landsleute an seine Bauherren. Seinem Gesuch um Pensionierung von 1699 gab der Kaiser erst 1701 statt.

Tencalla starb am 6. März 1702 im Alter von 72 Jahren in Bissone. Bestattet wurde er in der Pfarrkirche S. Carpoforo im Grab der Familie Garove, in die seine Schwester eingeheiratet hatte. Seine Frau Anna Caterina verstarb am 26. Februar 1704 in Bissone im Alter von ca. 66 Jahren.

Sein Nachfolger im Amt des kaiserlichen Hofarchitekten wurde 1705 der österreichische Architekt und Bildhauer Johann Bernhard Fischer von Erlach, der als Bernini-Schüler den Stil des römischen Barocks nördlich der Alpen erfolgreich weiter verbreitete.

Literatur

Links


© E. Mitterhuber 2013 / 2015

foot