a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z

Francesco Caratti

Architekt

geb. ca. 1610

Bissone (Vater: Paolo Antonio)
°° 1642 Veronica Maderno (Vater: Pietro Maino)
gest. 30. Januar 1677 Prag, Tschechien

Francesco Caratti war Architekt in Böhmen und Mähren, dem heutigen Tschechien. Seine eindrucksvollen Paläste werden noch heute bewundert, besonders das Palais Czernin neben der Burg in Prag.

Palais Czemin in Prag

Francesco Caratti, Palais Czernin in Prag, 1669-1673

Caratti entwarf zahlreiche Schlösser für die Adelsfamilien Liechtenstein, Lobkowitz, Michna und Czernin, sowie - im Zuge der Rekatholisierung nach dem 30-jährigen Krieg (1618-1648) - mehrere Kirchen und Klöster.

Da kein Bildnis von ihm überliefert ist, sehen Sie hier das Portrait eines seiner Arbeitgeber, Wenzel Eusebius Fürst Lobkowitz.

Wenzel Eusebius Fürst Lobkowitz (1609-1677)

Wenzel Eusebius
Fürst Lobkowitz (1609-1677)
Portrait von Anselm van Hulle
Sammlung Lobkowitz
in der Prager Burg

Ausbildung und erste Aufträge
Es ist anzunehmen, dass Francesco bei anderen Architekten aus der Umgebung von Bissone, die bereits für die Habsburger Monarchie tätig waren, eine Lehre machte. In Frage kommen Giovanni Battista Carlone (ca.1580-1645), der kaiserliche Hofarchitekt aus dem nahe gelegenen Intelvital, oder Giovanni Giacomo Tencalla (1591-1653) aus Bissone, die beide von Fürst Karl Erasmus von Liechtenstein damit beauftragt waren, ab 1626 das Familienschloss Valtice (dt. Feldsberg) in ein Barockschloss umzuwandeln. Denn eben Valtice, damals in Niederösterreich, ab 1918 in Tschechien gelegen, gilt als erster gesicherter Arbeitsort Carattis.

Schloss Valtice (CZ)

Schloss Valtice (CZ)

Auch im benachbarten Schloss Lednice war Francesco Caratti, zusammen mit seinem Schwiegervater, dem Bildhauer Pietro Maino Maderno, am Bau einer Sommerresidenz beteiligt. Beide Schlösser dienten ab 1650 den Fürsten von Liechtenstein als Stammsitz, der 1945 nach Vaduz verlegt wurde. Die UNESCO erklärte 1996 Valtice-Lednice zum Weltkulturerbe.

Schloss Lednice (CZ)

Schloss Lednice, frühere Sommerresidenz der Fürsten von Liechtenstein im Südosten des heutigen Tschechien

Paläste in Prag
Einen Namen machte sich Francesco Caratti mit dem Entwurf imposanter Residenzen für böhmische Adelige. Dazu gehören in Prag das Palais Michna, das Palais Nostitz und das Palais Czernin.

Palais Michna
In den 1640-er Jahren treffen wir Caratti in Prag an, wo er das Stadtpalais der Familie Michna von Waitzenau großzügig erweiterte. Dieses war um 1580 vom Tessiner Architekten Ulrico Aostalli für Graf Kinsky gebaut worden, entsprach aber nicht mehr den hochfliegenden Plänen des neuen Besitzers, der nach der Vertreibung der protestantischen Adeligen ein großes Vermögen angehäuft hatte. So entstand nun unter der Leitung Carattis ein monumentaler Komplex mit fünf Flügeln, zwei Höfen, einer prächtigen Fassade und stuckierten Repräsentationsräumen.

Michna-Palais in Prag

Francesco Caratti, Michna-Palais in Prag, Teilansicht der Erweiterungsbauten, 1640-1645

Allerdings ging der Familie Michna bald das Geld aus, die Gebäude wurden verkauft und verfielen. Erst ab 1921 wurden sie wieder genutzt und sind heute restauriert.

Palais Nostitz
Nicht weit davon entfernt entwarf Caratti einen 100 Meter breiten Palast, der durch 12 Pfeiler mit Kapitellen gegliedert ist.

Palais Nostitz in Prag

Francesco Caratti, Palais Nostitz in Prag, 1662-1675

Auftraggeber war Johann Hartwig Freiherr von Nostitz, der hohe Staatsämter inne hatte und ein großer Kunstfreund war. Im neu erbauten Palast gab es genügend Platz für seine Sammlung von Gemälden und eine Bibliothek mit 15.000 Bänden. Die Sammlungen befinden sich heute zum grössten Teil in der Prager Nationalgalerie, während das Gebäude selbst als Sitz des Kulturministeriums dient.

Gut hundert Jahre später war Mozart häufiger Gast im Palais, nämlich zur Uraufführung der Opern Don Giovanni und La Clemenza di Tito im Gräflich Nostitzschen Theater, dem jetzigen Ständetheater.

Carattis Meisterwerk: Palais Czernin
Graf Humprecht Czernin von Chudenitz, Statthalter des Kaisers und einer der reichsten böhmischen Adeligen, hatte angeblich auf seinen Italienreisen eine Skizze für einen "römischen Palast" erworben, die niemand geringerer als Gian Lorenzo Bernini angefertigt hatte. Jedenfalls ließ sich Czernin von den bedeutendsten Prager Architekten Entwürfe zeichnen, darunter auch Filiberto Lucchese aus Melide und Carlo Lurago aus dem Val d'Intelvi. Am besten gefiel ihm jedoch Carattis Idee eines lang gestreckten Gebäudes mit einer Fassade von 150 Metern, die auf einem Sockel von facettierten Quadersteinen ruht und mit 30 Halbsäulen aufgelockert wird. Dadurch ergibt sich ein wechselvolles Spiel von Licht und Schatten, das die monumentalen Ausmaße vergessen lässt.

Palais Czernin in Prag

Francesco Caratti, Palais Czernin in Prag, 1669-1673

Der Entwurf spiegelt die architektonischen Ideen von Andrea Palladio (1508-80) wider, dessen Bauten in der Umgebung von Venedig zu bewundern sind. Vorbilder für Paläste mit behauenen Quadersteinen finden sich auch in Ferrara (Palazzo dei Diamanti), in Neapel (Kirche del Gesù) und im Moskauer Kreml (Facettenpalast von Pietro Antonio Solari aus Carona).

Facettenpalast im Kreml, Moskau

Pietro Antonio Solari, Facettenpalast im Kreml, Moskau, 1487-1491

Die Bauarbeiten verschlangen Unsummen und mussten 1673 forciert werden, da sich Kaiser Leopold I. zu einem Besuch in Prag ansagte. Er soll über den riesigen Palast auf dem Loretoplatz in unmittelbarer Nähe seiner Burg nicht erfreut gewesen sein, auch als ihn Czernin beschwichtigen wollte: Eure Majestät, es ist nur eine Scheuer". Zeitgenossen meinten jedoch, dass der Palast nicht nur den römischen Palästen gleichkommt, sondern sie sogar noch übertrifft". Heute dient er als Sitz des Aussenministeriums der Tschechischen Republik.

Schloss Roudnice nad Labem (dt. Raudnitz an der Elbe)
Caratti schlug Fürst Wenzel Eusebius von Lobkowitz, Präsident des kaiserlichen Hofrats, einen gigantischen Bau mit 91 Herrschaftsräumen und 80 weiteren Zimmern vor, der in Raudnitz an der Elbe, nordwestlich von Prag, entstehen sollte.

Schloss Roudnice, 1652-1665

Francesco Caratti,
Schloss Roudnice, 1652-1665,
vollendet ab 1668
von Antonio della Porta
Stich von J. Wolf

Die oben gezeigte Westfassade erinnert an Palais Czernin, mit einer Basis aus Quadern und Säulen über zwei Stockwerke.

Außer den Prunk- und Wohnräumen beherbergte das Schloss eine Bibliothek, ein Theater und eine Kapelle. Sie wurden ab 1678 vom Maler Giacomo Tencalla aus Bissone mit Fresken geschmückt.

Schloss Raudnitz an der Elbe (CZ)

Francesco Caratti und Antonio della Porta, Schloss Raudnitz an der Elbe (CZ), 1652-1684

Die kunsthistorische Bedeutung des Schlosses, Stammsitz der Familie Lobkowitz, reichte dank seinen Sammlungen von Gemälden, Musikinstrumenten, Porzellan und Waffen sowie der reichen Bibliothek mit 50.000 Bänden weit über Böhmen hinaus. 1804 wurde im Schlosstheater Beethovens Eroica-Symphonie uraufgeführt, die seinem Gönner Fürst Franz Joseph Maximilian von Lobkowitz gewidmet ist.

Nach 1945 wurde das Schloss verstaatlicht und die Kunstschätze gelangten in Museen und Bibliotheken. Im ehemaligen Reitstall des Schlosses befindet sich seit 1965 die Böhmische Galerie für moderne Kunst. 2009 erhielt die Familie Lobkowitz das Schloss zurück und bemüht sich jetzt, Partner für eine Wiederbelebung zu gewinnen.

Kirchen und Klöster in Prag
Obwohl sich Graf Michna mit seinem riesigen Palast dem finanziellen Ruin näherte, wollte er sein Versprechen halten, dem Dominikanerorden eine Kirche zu bauen.

Dominikanerkirche Maria Magdalena
Caratti erhielt den Auftrag und entwarf für das bereits bestehende Kloster einen Anbau, der zum Glück auf einem Stich von 1740 noch zu sehen ist.

Kirche Maria Magdalena nahe dem Palais Michna in Prag

Fancesco Caratti, Kirche Maria Magdalena nahe dem Palais Michna in Prag, Baubeginn 1656
Stich von F.B. Werner, 1740

Denn nach der Auflösung des Ordens im Jahre 1789 verschwanden die Glockentürme und im Inneren wurden Stockwerke eingezogen. Das Gebäude diente nun als Zuckerfabrik, Postamt, Militärspital und Kaserne, bis es 2004 eine neue Bestimmung als Tschechisches Musikmuseum erhielt. Mit seiner einzigartigen Sammlung an Musikinstrumenten, darunter ein Klavier, auf dem Mozart 1787 gespielt hatte, ist die Ausstellung ein Muss für jeden Musikfreund.

Basilika St. Georg in der Prager Burg
Für das älteste Kloster in Böhmen, die 976 gegründete Benediktinerabtei St. Georg, sollte Caratti 1657 eine moderne Kirchenfassade für die ursprünglich romanische Kirche entwerfen.

Veitsdom Prager Burg

Francesco Caratti, barocke Fassade der Basilika St. Georg, 1658
Blick vom Veitsdom auf der Prager Burg

Jesuitenkolleg Clementinum
Das ehemalige Jesuitenkolleg Clementinum ist nach der Burg das zweitgrößte Bauwerk in Prag. Es liegt direkt an der Karlsbrücke auf der anderen Seite der Moldau. Der viereckige Komplex umfasst zwei Kirchen (Salvator und St. Clemens), Seminargebäude, Studentenwohnheime, eine Bibliothek, den astronomischen Turm und fünf Innenhöfe.

Jesuitenkolleg Clementinum in Prag

Jesuitenkolleg Clementinum
in Prag,
Zeichnung von F. B. Werner,
ca. 1740

Die 1556 begonnene Anlage wurde nach dem Sieg der Katholiken in der Schlacht am Weissen Berg (1620) beträchtlich erweitert und ab 1653 im barocken Stil umgebaut. Die Pläne dazu lieferten die Architekten Francesco Caratti, Carlo Lurago (1615-1686) und Giovanni Domenico Orsi (1634-1679), wobei sich die Realisierung bis 1726 hinzog.

An der Salvatorkirche kommt jeder beim Schlendern über die berühmte Karlsbrücke vorbei.

Salvatorkirche Prag

Salvatorkirche in Prag

Die Bildhauer- und Stuckarbeiten an den Fassaden und im Inneren der Gebäude wurden von Giovanni Bartolomeo Cometta aus Arogno, Francesco della Torre aus Pellio und Giovanni Battista Passerini aus Ramponio im Val d'Intelvi ausgeführt.

Clementinum, Prag

Clementinum, Prag, Stuckarbeiten von G.B. Cometta, F. della Torre und G.B. Passerini

Nach Auflösung des Jesuitenordens im Jahre 1773 ließ Kaiserin Maria Theresia im Westtrakt die Nationalbibliothek einrichten. Die anderen Gebäude gehören heute zur Universität.

Familie und Nachfolger
Francesco heiratete die Tochter des kaiserlichen Hofbildhauers Pietro Maino Maderno aus Bissone. 1652 ließ sich die Familie in Prag nieder. Bei seinem Tod 1677 hinterließ er drei Töchter, deren Vormundschaft seine Freunde Giovanni Domenico Orsi und Giacomo Tencalla übernahmen. Seine Frau Veronica verstarb am 31. August 1696 in Bissone im Alter von ca. 78 Jahren.
Die unvollendeten Arbeiten führten sein Schüler Giovanni Battista Maderno aus Capolago sowie Carlo Lurago und Giovanni Battista Alliprandi aus dem Val d'Intelvi weiter.

Links


© 2013 / 2016 E. Mitterhuber und U. Stevens

foot