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Alberto Camesina
Stuckateur |
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geb. 15.02.1675 |
San Vittore, Graubünden (Vater: Antonio; Mutter: Barbara Angelini) °° 1713 Maria Elisabeth (Vater: Andrea Simone Garove ) |
gest. 19.10.1756 | Wien (A) |
Porträt des Alberto Camesina, unbekannter Maler, Mozarthaus, Wien
Alberto Camesina war ein Stuckateur aus dem an das Tessin angrenzenden, italienisch sprechenden Teil Graubündens. Neben Santino Bussi aus Bissone (siehe seine Biografie auf dieser Webseite) war er um 1700-1740 einer der gefragtesten Stuckateure. Der von ihm bevorzugte Stil der zarten Ranke
und des Bandlwerks
galt im kaiserlichen Wien als modern und wurde von den adeligen und kirchlichen Auftraggebern hoch geschätzt. Seine Meisterschaft kommt besonders in den Reliefs mit Szenen aus der griechischen und römischen Geschichte zum Ausdruck. Camesina arbeitete in Österreich, Tschechien und in Salzburg, das damals ein selbständiges Fürstentum war und erst 1816 endgültig zu Österreich kam.
Herkunft und Ausbildung
Da sein Vater Antonio und sein Onkel Giovanni Battista Camesina sowie zwei Verwandte (Brüder?) seiner Mutter, Giacomo und Carlo Angelini (= Jakob und Karl Engel) als Architekten im bayerischen Eichstätt arbeiteten, ist anzunehmen, dass Alberto bei ihnen aufwuchs. Die Stadt war im 30-jährigen Krieg (1618-1648) fast völlig zerstört worden, und in der Folge wurden zahlreiche Architekten und Künstler vor allem aus dem italienischsprachigen Graubünden (Misox) zum Wiederaufbau herangezogen.
Auch im nahe gelegenen München waren bedeutende Architekten aus dem Misox tätig: Giovanni Antonio Viscardi, ebenfalls aus San Vittore, und Enrico Zuccalli aus dem Nachbardorf Roveredo (siehe seine Biographie auf dieser Webseite).
Es könnte also durchaus sein, dass Alberto ab ca. 1690 zu Meistern in die Lehre gegeben wurde, die damals für Viscardi arbeiteten. In Frage kämen insbesondere dessen bevorzugte Stuckateure Niccolò Perti (1656-1718), der u.a. die Theatinerkirche in München ausschmückte, und Pietro Francesco Appiani (1670-1724), der damals im Kloster Fürstenfeld tätig war. Letzterer wandte sich nach einem Aufenthalt in Frankreich dem leichteren Dekorationsstil mit Bandlwerk zu, das auch Camesina später meisterhaft beherrschte.
Nicht geklärt ist hingegen bis heute, wie und wann Alberto nach Wien kam, vielleicht über den Architekten Gabriele de Gabrieli (1671- 1747) aus Roveredo, der ab 1694 den Bau des Stadtpalais Liechtenstein leitete. Dort war für die Innenaustattung Santino Bussi zuständig, in dessen Werkstatt Alberto offenbar mitarbeitete (vgl. Bussis Biographie auf dieser Webseite).
Prunkräume der Erzbischöflichen Residenz in Salzburg
1710 erhielt Alberto Camesina von Erzbischof Franz Anton Fürst von Harrach den Auftrag, die Räume seiner Residenz mit der schönsten Stuckatur auf die neueste Façon
zu schmücken.
Franz von Stampart (1675-1750),
Porträt des Erzbischofs Franz Anton
Fürst von Harrach (1665-1727),
Kunsthistorisches Museum Wien
Quelle: Zentrum der Macht,
Residenzgalerie Salzburg, 2011
Erzbischöfliche Residenz in Salzburg, Neugestaltung der Fassade und der Innenräume um 1710
von Johann Lucas von Hildebrandt
Als Thema für die Prunkräume im zweiten Stock wählte der Fürsterzbischof Szenen aus dem Leben Alexanders des Großen (356 - 323 v. Chr.), während im dritten Stock als römisches Pendant Julius Caesar (100 - 44 v. Chr.) und seine Taten dargestellt werden sollten. Dem Auftraggeber schwebte vor, den jungen Adeligen und künftigen Herrschern sowohl die Verantwortung einer Machtposition als auch deren Missbrauch vor Augen zu führen - quasi einen Fürstenspiegel
. Ausserdem sollten Besucher die Macht des Bauherrn erahnen, der in Gestalt von Göttern und Helden der Antike auf sie herabblickte. So entstanden in den folgenden vier Jahren der Alexander- Zyklus
und der Caesar-Zyklus
, die als Camesinas Meisterwerke gelten.
Alexander-Zyklus
Im sogenannten Rittersaal sind Albertos Reliefs um das Deckenfresko von Johann Michael Rottmayr (1654-1730) angeordnet.
Salzburger Residenz, Rittersaal, Deckengemälde von Johann Michael Rottmayr,
Deckenstuck von Alberto Camesina, ab 1710
Das Thema des Gemäldes Alexander präsentiert sein Lieblingspferd Bukephalos wird in Albertos Reliefs weitergesponnen.
Alberto Camesina, Rückgabe des geraubten Pferdes Bukephalos, Rittersaal der Residenz Salzburg, ab 1710
Im anschließenden Konferenzsaal geht es im Deckenfresko von Martino Altomonte (1657-1745) um eine Schlacht, während der ein Offizier namens Kleitos Alexander das Leben rettet. Doch bei einem Gelage kritisiert der betrunkene Kleitos seinen Feldherrn und wird daraufhin von Alexander mit einem Speer getötet.
Alberto Camesina, Alexander ermordet Kleitos,
Stuckrelief im Konferenzsaal der Salzburger Residenz, ab 1710
In weiteren Szenen tötet Alexander einen Löwen, zerschlägt den Gordischen Knoten, diskutiert mit dem Philosophen Diogenes und sitzt seinem Hofmaler Modell.
Alberto Camesina, Alexander erobert die Stadt Byblos, Stuckrelief im Audienzsaal der Salzburger Residenz, ab 1710
Hier wird die Eroberung der Hafenstadt Byblos geschildert, damals Zentrum der Papyrusherstellung im heutigen Libanon. Nach ihr nannten die Griechen
eine beschriebene Papyrusrolle biblion
, wovon sich die Wörter "Bibel" und natürlich "Bibliothek" ableiten.
Im Thronsaal hingegen herrschen Szenen aus den griechischen Mythologie vor. Auf diesem Relief sendet der Göttervater Zeus, oben auf einer Wolke thronend, einen Adler, um den schönen Knaben Ganymed zu entführen.
Alberto Camesina, Entführung des Ganymed durch den Adler des Zeus, Stuckrelief in der Residenz Salzburg, ab 1710
Caesar-Zyklus
Im dritten Stockwerk der Residenz, wo in prachtvollen Appartements die Verwandten der Erzbischöfe wohnten, ist heute die sogenannte Residenzgalerie mit Malerei des 16.-18. Jahrhunderts untergebracht.
Als Pendant zu den Heldentaten, aber auch den weniger erfreulichen Seiten Alexanders des Großen, sollte Alberto hier die Tugenden und Laster des römischen Staatsmanns Julius Caesar (100 - 44 v. Chr.) illustrieren. Hier ist ein Beispiel von Caesars Klugheit als Feldherr:
Alberto Camesina,
Caesar lässt die Pferde
von der Front abziehen,
um zu verhindern,
dass das Heer flieht,
Stuckrelief in
der Residenzgalerie Salzburg,
ab 1710
Zu den Tugenden gehören auch die Förderung von Kunst und Wissenschaft, hier dargestellt als die Musen der Geschichtsschreibung (Clio mit Griffel und Buch), der Astronomie (Urania mit Zirkel und Himmelsglobus) und die Göttin der Weisheit Minerva (mit dem Schild der Medusa). Über ihnen schwebt der Himmelsbote Merkur mit einem Bildnis Caesars als Zeichen dafür, dass der Herrscher in den Götterhimmel aufgenommen wird.
Alberto Camesina, Die drei Musen, Deckenrelief in der Residenzgalerie Salzburg, ab 1710
Im Medaillon darunter sieht man Julius Caesar, wie er bei Mondschein den Himmelsglobus studiert: eine Anspielung auf die Einführung des Julianischen Kalenders im Jahre 45 v. Chr. Seither heisst auch bei uns der siebte Monat Juli
.
Offenbar war Caesars Ruhmsucht legendär, was im folgenden Relief zum Ausdruck kommt.
Alberto Camesina, Die Laster, Deckenrelief in der Salzburger Residenzgalerie, ab 1710
Wir sehen, von links nach rechts, vier weibliche Figuren als Symbole von Ruhm (mit Weihrauchfass), Hochmut (mit Pfau), die Göttin Venus (mit Taube), der Caesar einen großen Tempel in Rom errichten ließ und von der er die Abstammung seiner Familie ableitete, und Götzenverehrung (mit verbundenen Augen).
Arbeiten in Wien
Alberto Camesina heiratete 1713 in Wien die Tochter des Architekten Andrea Simone Garove aus Bissone, der ihm sein Wohnhaus nahe dem Stefansdom vermachte.
Camesinahaus in Wien, Domgasse 5, heute Mozarthaus
Seither war es als Camesinahaus bekannt und erhielt erst später den Namen Mozarthaus, zur Erinnerung daran, dass dort in den Jahren 1784-1787 die Hochzeit des Figaro entstand. In einem Raum kann man heute noch eine farbige Glanzstuckdecke von Alberto bewundern, die er vermutlich für interessierte Kunden schuf.
Alberto Camesina, Flora und Putten, Deckenrelief im Mozarthaus, ca. 1720/1730
Foto: David Peters, © Mozarthaus Vienna
Von den zahlreichen Aufträgen, die Alberto für die Ausschmückung von Adelspalästen und Kirchen erhielt (Altes Rathaus, Nationalbibliothek, Schloss Hetzendorf, Peterskirche, Wallfahrtskirche Mariabrunn), sei hier nur seine imposante Komposition Die Himmelfahrt des Hl. Karl Borromäus erwähnt. Sie beherrscht den Altarraum der Karlskirche, eines der Wahrzeichen Wiens.
Karlskirche in Wien,
erbaut von Johann Bernhard Fischer
von Erlach, ab 1716
Als Dank für die erflehte Eindämmung der Pest, die 1713-1714 in Wien rund 8.000 Menschen dahinraffte, ließ Kaiser Karl VI. die Kirche zu Ehren seines Namenspatrons, des Mailänder Erzbischofs Carlo Borromeo (1538-1584), errichten und verpflichtete dazu die besten Künstler seiner Zeit.
Alberto Camesina, Die Aufnahme des Hl. Karl Borromäus in den Himmel am Hochaltar der Karlskirche in Wien, 1724
Hier erweist sich Camesina auch als Meister vollplastischer Figuren aus Glanzstuck (stucco lucido). Auf dem Gesimse sind, von links nach rechts, die Kirchenväter Ambrosius, Gregor der Große, Hieronymus und Augustinus dargestellt.
In der Sakristei hingegen beschränkte sich Alberto auf zartere Stuckaturen im sogenannten Bandlwerk, das er in vielen Variationen beherrschte, wie man auch aus der Umrahmung des weiter oben gezeigten Reliefs mit den drei Musen ersehen kann.
Alberto Camesina Deckenstuck in der Sakristei der Karlskirche in Wien, 1724
Schloss Hof
Zum Abschluss machen wir noch einen kleinen Ausflug in das für Prinz Eugen von Savoyen erbaute Schloss Hof in Niederösterreich, unweit von
Bratislava (SK). Vom Schloss selbst und seiner Geschichte ist in der Biographie von Santino Bussi auf dieser Webseite die Rede, denn die
Innendekoration stand unter seiner Leitung. Von Camesinas Hand stammen jedoch sieben Medaillons mit Darstellungen der Haupttugenden in der
Schlosskapelle, und im Schloss drei Kaminaufsätze in Glanzstuck, darunter dieses Relief im sogenannten Kaffeezimmer.
Alberto Camesina, Kaminaufsatz im Kaffeezimmer von Schloss Hof (A), 1729-1731
Es bleibt dem Betrachter überlassen, ob hier Apollo und Venus, von Jupiter verfolgt, auf der Palmeninsel Delos Zuflucht suchen, oder ob nur einfach das exotische Getränk elegant serviert wird.
Familie und Nachfolger
Alberto Camesina dürfte sich um 1700 in Wien niedergelassen haben, denn 1710 erhielt er das Bürgerrecht und wurde 1714 – gleichzeitig mit Santino
Bussi – zum Hofstuckateur ernannt. 1713 heiratete er Maria Elisabeth Garove, die Tochter eines erfolgreichen Baumeisters aus Bissone, mit der er
vier Kinder hatte. Maria brachte eine reiche Mitgift in die Ehe, und dank den Einkünften seiner florierenden Werkstatt lag Alberto bezüglich Steuerleistungen bis 1719 an dritter Stelle hinter Santino Bussi und Girolamo Alfieri aus Balerna (siehe auf dieser Webseite Künstler I und II).
Bei seinem Tode 1756 hinterließ Alberto das oben erwähnte Camesinahaus und 46.455 Gulden (1 Gulden entsprach damals etwa 30 Euro). Seiner Tochter Catarina vermachte er 10.000 Gulden und deren sieben Kindern 2.000 Gulden. Camesinas 1731 verstorbene Gattin hatte bereits jedem ihrer vier Kinder 3.000 Gulden vererbt. Mit einem goldenen Löffel im Mund geboren, ergriff keiner der Söhne einen handwerklichen oder künstlerischen Beruf.
Albertos Urenkel Albert Joseph Erwin Camesina (1806-1881) wurde ein berühmter Historiker und Graphiker. Für seine Verdienste um die Erforschung
der österreichischen Geschichte wurde er in den Adelsstand erhoben, nannte sich Ritter von San Vittore
und vermachte das Adelsdiplom dem Heimatdorf
seiner Vorfahren. Aus seinem Besitz stammt das am Anfang gezeigte Porträt des Urgroßvaters Alberto.
Literatur
- Kühlenthal M. (Hrsg.), Graubündner Baumeister und Stukkateure, Ed. Armando Dadó, Locarno (CH) 1997
- Bstieler S., Die Harrach'schen Repräsentations- und Privaträume 1709-1727, in: Juffinger R. (Hrsg.), Zentrum der Macht, Residenzgalerie Salzburg, S. 73-135, 2011
- Brandlhuber C., Cesare Duce – Zur Ikonographie des Caesar-Zyklus in der Residenzgalerie Salzburg, in: Juffinger R. (Hrsg.), Residenzgalerie Salzburg, Band 2, S. 400-433, 2010
Links
- Alberto Camesina
- AIA, Alberto Camesina
- Franz Anton von Harrach, Fürstbischof von Salzburg
- Erzbischöfliche Residenz, Salzburg
- Residenzgalerie, Salzburg
- Karlskirche, Wien
- Stuck
- Biographie Santino Bussi
© E. Mitterhuber 2015